„Anwälte sind nicht vorne dabei bei der Digitalisierung“

Doch es ist so: Unter den Anwälten stecken viele „Techies“, die ihren Kopf martern, wohin es die Robenträger auf digitalen Feldern weht. Rechtsanwalt Oliver Schwartz, Leiter Legal Tech bei Soldan, gehört zu ihnen.  Ihn treibt um, wie der Kanzleibetrieb der Zukunft aussieht und wo neue Beratungschancen liegen. Und vor allem: Wie man das Potential von Auszubildenden und Mitarbeitern nutzt. Ein Gespräch über brach liegende Ressourcen, wie ein Anwalt auf TikTok reüssiert und warum das Kanzleipersonal die Ertragskönige im Büro sein können. Sofern Anwälte künftig noch junge Menschen finden, die sich zu Rechtsanwaltsfachangestellten ausbilden lassen wollen.

 

Bestandsaufnahme zum Auftakt: Wo steht die Digitalisierung in den Kanzleien?

Natürlich sind der elektronische Rechtsverkehr und das beA tägliche Routinen in den Kanzleien. Aber bei vielen ist an diesem Punkt dann auch schon Schluss. Natürlich gibt es immer eine interessierte Gruppe, technologische first mover, die es beispielsweise ganz extrem versuchen, papierlos zu werden. Oder die möglichst viele Abläufe im Büro digital standardisieren möchten, von der Online-Terminsvergabe bis zum Dokumentenaustausch mit dem Mandanten mittels Cloud. Die andere Seite ist aber auch noch da. Dort wartet „Rechtsanwalt Aktenstaub“, in dessen Räumen man sich in die 70er Jahre zurückkatapultiert wird.

 

Überraschen Sie Kollegen eigentlich auch einmal?

Da muss ich gar nicht lange überlegen, das war zuletzt als eines meiner Kinder mir sein Smartphone vor das Gesicht hielt und mich frage, ob ich „Herr Anwalt“ kenne. Kannte ich nicht. Mein Sohn und mit ihm übrigens über zwei Millionen andere junge Menschen waren jetzt schlauer als ich. Für die dürfte Tim Hendrik Walter, der hinter „Herr Anwalt“ steckt, oft wohl der erste Jurist sein, dem sie länger zuhören. Man muss sich nur einmal diese enorme Reichweite dieser Videos anschauen, die den Anwaltsalltag, die Justiz und rechtliche Alltagsfragen unterhaltsam aufgreifen. Und mit jedem Monat, in dem man so etwas macht, wird man erfahrener mit digitalen Kanälen und der Produktion von Inhalten. Ein Anwalt erzählte mir mal, während des Studiums hörte er, dass Jura mit Bleisteift, Karteikasten und ein paar Kommentaren geht. Das gefiel ihm.

 

Stimmt ja grundsätzlich auch.

Tatsächlich komme ich allein für juristische Wertschöpfung mit wenig Digitalisierung aus, und vielleicht liegt hier auch einer der Gründe, warum Juristen insoweit nie vorneweg waren. Neben jüngeren, technikaffinen Berufseinsteigern begegnen mir auch Anwälte, die kurz vorm Rentenalter in die Materie einsteigen, Spaß an Effizienzsteigerung haben, unternehmerisch denken und digitale Chancen einfach nutzen wollen. Es zeichnet sich ein zu heterogenes Bild der Juristen, als dass man hier ein einfaches Gefälle zwischen „Analogen“ und Technikaffinen behaupten könnte. In der Gesamtschau sind aber viele andere Branchen deutlich besser in Sachen Digitalisierung aufgestellt und auch aufgeschlossener als die Anwaltschaft.

 

Dabei hat man mit Auszubildenden und jungen Mitarbeitern doch beste Chancen, Ideen und Strategien zu entwickeln? Richtig bewusst ist man sich den Ressourcen nicht.

Nein, dabei läuft das in anderen Branchen längst so. Da sitzen Praktikanten und Auszubildende mit am Tisch, wenn es um technisches Verständnis, Social-Media-Ideen und Automatisierungsprozesse geht. Da wird kein Kopf außen vor gelassen, der sich vorteilhaft einbringen kann. Anwälte würden ebenfalls von diesen vielen Impulsen profitieren, und wenn man schlau ist, nimmt man Mitarbeiter auf diesem Weg mit. Da wird nicht erkannt, dass die Auszubildenden, die ich mir ins Büro hole, Chancen und Potential sind. Dass sind die, die mich in den kommenden Jahren dabei unterstützen, Geschäftsmodelle aufzubauen, wenn ich sie denn einbinde und sie im zulässigen Rahmen eigenverantwortlich arbeiten. Aus Anwaltssicht, also schon rein unternehmerisch gedacht, drängt sich diese positive Haltung eigentlich auf. Aber Anwälte nehmen ihre Mitarbeiter als solche Ressourcen sehr oft gar nicht wahr.

 

Klingt noch ein wenig vage. Wie sähe konkret ein Beispiel aus, wie Anwalt und Mitarbeiter mit einer schlauen digitalen Symbiose die Kanzlei voranbringen?

Ich denke, dass Kanzleien in den kommenden Jahren immer mehr und intensiver automatisieren. Ein denkbares Beispiel: Eine Kanzlei nimmt viele Fälle gewerblicher Mandanten an. Sie will nun die häufig ähnlichen Konstellationen der Mandate schneller verarbeiten. Häufig bestehen Verträge und Dokumentationen aus Bausteinen, immer aber sind ein paar Fälle darunter, in denen der Mandant individuell abzufragen oder in aufwendigen Interviews feinjustiert werden muss. Nun schlagen Mitarbeiter oder Azubis vor, eine Website zu bauen, die genau diese fehlenden Informationen zuträgt, der Mandant klickt beispielsweise online ähnliche Konstellationen an bzw. beantwortet Fragen, sodass die Sachverhaltsermittlung komplettiert wird. Dazu ließe sich auch ein Survey bauen, die Antworten des Mandanten werden dann ins System übernommen. Hat das jemand von den Mitarbeitern schon mal getan oder weiß, wie man dies gezielt umsetzt, profitiert der Anwalt davon.

 

Darauf könnte die Kanzlei dann weiter aufbauen.

Einmal gemacht, lässt sich dies auch auf andere gewerbliche Massenmandate übertragen, die regelmäßig mit gleichen Sachverhalten einhergehen. Bei aller Standardisierung: Irgendwo ist immer ein Stück individueller Handarbeit erforderlich, aber auch diese lässt sich effizient bearbeiten. Diese Schnittstellen werden dann immer weiter verbessert, was auch die Rechtsanwaltsfachangestellten herausfordert, aber am Ende zu schnellen, routinierten Abläufen führt und einen Vorsprung bedeuten.

 

Dieser Ansatz lässt sich dann auch in anderen Arbeitsbereichen der Kanzlei verfolgen?

Wer hier kreativ ist, das technologische Verständnis hat und im Internet routiniert unterwegs ist, ist dann im Vorteil. Das ist heute kein Hexenwerk mehr, für das man stets ITler braucht. So generiert sich ein Mehrwert für die Kanzleien. Ist das Kanzleiteam einmal auf diese Stoßrichtung gepolt, werden sie sich auch weiter mit der Materie beschäftigen. Sie recherchieren und finden vielleicht eine freie Dokumenten-Software, die  effizienter ist als die derzeit im Büro genutzte Software. Oder sie sagen: ‚Hallo Chef, ich habe hier ein CRM-Tool gefunden, mit dem wir unsere Mandanten besser anschreiben können als bisher‘. Können die Mitarbeiter dies dann auch vermitteln, anschaulich erklären und kennen vielleicht auch kreative Ansätze im Onlinemarketing, dann wären das schon die Richtungen, in die sich viele Kanzleien meiner Einschätzung nach bewegen werden. Man kann die Kanzleistrategien auch mit Beteiligungsmodellen koppeln: man beteiligt die Mitarbeiter prozentual an Erfolgen in der Mandantenakquise oder wenn Massenmandate mit Zeitersparnissen bearbeitet werden können.

 

So passiert es in vielen Kanzleien wahrscheinlich nicht.

Man muss hier auch klar von mangelnder Kreativität sprechen. In vielen Kanzleien sind Auszubildende einfach Aktenzuträger, das könnten auch Roboter sein, die würden viele Anwälte auch nehmen, weil die eben das machen, was in dem Rahmen erwartet wird. Termine vereinbaren, Wiedervorlagen zusammenstellen, Korrespondenz nach Vorgabe und irgendwie ein bisschen den Laden in Ordnung halten. Man kann von einer gewissen Fantasielosigkeit sprechen, das Berufsbild der Rechtsanwaltsfachangestellten zeigt sich als eine ‚Ausbildung generale‘, die möglichst in die Breite geht und auch viel Ballast in sich trägt. Man bildet auch häufig am Bedarf vorbei aus.

 

Haben die Kanzleien vor allem auch deshalb Probleme, Auszubildende zu finden?

Der entscheidende Punkt ist das Geld. Ich war häufig im Rahmen der DAV-Kampagne „Ein Job für kluge Köpfe“ auf Veranstaltungen am Stand präsent und wenn ich mit jungen Menschen ins Gespräch kam, waren die dann natürlich über die Vergütung kaum begeistert. Die Relation der geforderten Cleverness und des Anspruchs zur Entlohnung ist hier weit davon entfernt, attraktiv zu sein. Davon können viele einfach nicht leben, der Wille auf der Anwaltsseite das zu ändern, ist häufig nicht da.

Behörden sind zudem ein großer „Räuber“ auf dem Arbeitsmarkt, die bei ReFas beliebt ist. Anwälte verstehen nicht, dass längst sie es sind, die um junge Menschen „werben“ müssen.

 

Weichen Arbeitgeber dabei auch auf andere Berufe aus, die früher oft mit Rechtsanwaltsfachangestellten besetzt wurden?

Das zeigt sich vor allem bei den Großkanzleien und Unternehmen. Dort wird immer mehr auf Fremdsprachenkorrespondenten zurückgegriffen und werden notwendige juristische Grundlagen intern vermitteln. Die klassische Aufgabe, die ReFas ohnehin beherrschen und die sehr oft verlangt wird, ist das Fristenmanagement. Vergütungs- und Vollstreckungsrecht wird meist gar nicht gebraucht.

 

Hinweis
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