Anwaltsleben in Zeiten von Corona: Interview mit der Rechtsanwältin Christiane Henneken aus Köln

In welcher beruflichen Situation befindest Du Dich? Hast Du einen Schwerpunkt?

Ich arbeite in einer Partnerschaftsgesellschaft mit einem Kollegen. Selbstständig bin ich schon seit 2002, hauptsächlich in den Bereichen Datenschutzrecht, Vertragsrecht und Inkasso. Ich betreue ausschließlich Unternehmen und Unternehmer.

 

Über alle Branchen hinweg? Alle Größen?

Wir betreuen schwerpunktmäßig Unternehmen des Mittelstands, kleine und große. Alle Branchen.

 

Wann hat sich bei Deiner Arbeit „Corona“ erstmals bemerkbar gemacht, so dass Du reagieren musstest?

Zunächst hat sich „Corona“ eher im Privatleben bemerkbar gemacht und dadurch auf die Arbeit ausgewirkt. In dem Moment, als die Schulen zugemacht haben. Da ist sozusagen meine Arbeitszeit weggefallen, weil ich ja in der Regel dann arbeite, wenn mein Sohn in der Schule ist. Plötzlich war er dann den ganzen Tag zuhause…

 

Wie hast Du Dich dann organisiert? Konntest Du das Problem zumindest interimsmäßig schnell lösen?

(lacht) Unter uns gesagt: Eine richtige Lösung gibt’s bis heute nicht.

Wie hab ich das gelöst? Naja, indem ich versucht habe, die Zeit klar zu strukturieren, mit Homeschooling und Arbeit. Und natürlich habe ich dann ausschließlich von zuhause gearbeitet. Was aber, ehrlich gesagt, auch nicht wirklich funktioniert.

Und an den Tagen, die mein Sohn beim Vater verbrachte, war ich dann im Büro.

 

….und da hast Du dann quasi Doppelschichten eingelegt?

Da habe ich dann höchst intensiv gearbeitet, genau. Das ist die Lösung gewesen und das wird wohl auch erstmal so bleiben.

 

Hattest Du vorher schon im Homeoffice gearbeitet?

Es gibt seit jeher einen voll eingerichteten, funktionierenden Homeoffice-Arbeitsplatz, auch mit digitaler Anbindung. Insofern war das organisatorisch kein Thema, weil Alles da war und ich nichts aus dem Boden stampfen musste. Ich persönlich bin aber definitiv kein Homeoffice-Arbeiter. Ich mag das nicht. Für mich ist zuhause zuhause und Arbeit ist Büro. Also, um die Frage zu beantworten: in normalen Zeiten arbeite ich nicht zuhause.

 

…aber rein technisch funktionierte es reibungslos?

Ja, absolut. Weil einfach Alles seit jeher eingerichtet ist. Überhaupt kein Problem. Ich musste mich quasi nur hinsetzen und arbeiten. Ha ha! (lacht)

 

Aha, und darin lag eigentlich eher das Problem? Weil man zuhause z.B. eher zur Prokrastination neigt?

©️ Patric Prager www.diepragerbotschaft.de// Rechtsanwältin Christiane Henneken aus Köln

Ich bin in der Kanzlei, in der reinen Büroumgebung, fokussierter, konzentrierter, effizienter. Das ist einfach so. Selbst, wenn ich allein zuhause sitze und arbeite, ist das nicht annähernd so „gut“. Also inhaltlich schon, aber vom Arbeitsablauf, wie lange ich für Dinge brauche, wie ich mich ablenken lasse.

Und jetzt, „in Zeiten von Corona“, wenn Du auch noch ein Kind zuhause hast… Brauchst Du nicht mehr drüber nachzudenken. Mein Sohn ist zwar nicht mehr ganz jung, aber mit 11 Jahren ist das schon immer noch „betreuungsintensiv“. Der kommt dann um die Ecke, selbst, wenn er weiß, dass ich arbeite: Mama, wo ist dies und jenes… (zuckt mit den Schultern) Tja, dann hat sich das mit dem Arbeiten wieder für den Moment.

 

Wie hast Du ihn erlebt? Also, hat er schon realisiert, dass es für Dich nicht so einfach ist oder fand er es einfach toll, dass Mama zuhause ist? Hat er Dich sehr in Beschlag genommen oder hat er „erwachsener“ reagiert als gedacht?

In seiner Wahrnehmung weiß er um die Situation von „Corona“. Dass es kein Spiel ist. Aber in dem Moment, wo die Schule zu war: FERIEN! Was natürlich so einfach nicht ist. Er musste ja weiter zuhause lernen. Und allein darüber könnten wir noch drei Stunden reden. Weil das nochmal ganz andere Herausforderungen mit sich bringt, wenn Du vier Stunden am Tag Homeschooling mit Deinem Kind machst und daneben sitzt. Und dazu Diskussionen hast, gefühlt jeden Tag: „Nee, es sind keine Ferien! Es ist ganz normal Schule.“

 

Und das musstest Du auch immer wieder sagen?

Mehr als einmal. Und entsprechend bringt das auch Schwierigkeiten mit sich, einen Rhythmus reinzubringen. Denn wenn er denkt, es sind Ferien, dann fängt das damit an, dass darüber diskutiert wird, warum er morgens um 7 Uhr aufstehen soll.

Am Anfang ging das noch. Er kann sich auch gut allein beschäftigen, aber es wurde schwieriger, je länger die Schule zu war. Es gab kein Sporttraining und er konnte sich nicht mit Kumpels treffen. Das heißt, Du musst nicht nur Homeschooling machen, sondern Dein Kind auch irgendwie beschäftigen. Es ging ein paar Tage gut, dass er sich auch allein beschäftigt, aber er ist jetzt auch kein 18-Jähriger, sondern ein 11-Jähriger. Wenn man ihn lässt, hängt er den ganzen Tag vor der Playstation. Das geht natürlich nicht. Das heißt, Du musst ihn auch irgendwie beschäftigen. Damit bist Du eigentlich völlig ausgelastet. Aber Du hast ja dann auch noch den Haushalt und musst dann auch sehen, dass Du mal irgendwann arbeitest.

Seit Geburt meines Sohnes arbeite ich nicht mehr Vollzeit. In meiner normalen Tagesstruktur ist es so: wenn er in der Schule ist, arbeite ich. Und jetzt geht das nicht mehr so einfach, denn seine Schulzeit betreue ich mit. Ich bin die Lehrerin. Und dann kommt hinten dran oder morgens ganz früh noch das Arbeiten.

 

Hatte er virtuellen Unterricht oder bekam er Aufgaben per E-Mail?

Also virtuellen Unterricht hatte er in dem Sinne bisher nicht. Ich hoffe, dass das jetzt nach den Ferien kommt. Zumindest hat die Schule inzwischen die Tools genehmigt bekommen und befindet sich in der Umsetzung und Einrichtung der technischen Voraussetzungen. Anfangs hat er die Aufgaben per mail bekommen, dann ist die Schule aber relativ schnell auf ein Tool umgestiegen, das ähnlich wie Trello ist. Da standen dann – nach Fächern sortiert – alle Aufgaben drin, was auch für uns Eltern deutlich einfacher und übersichtlicher war.

Du musst Dir das so vorstellen: Am Anfang bekamst Du von jedem Fachlehrer montags eine e-mail, in der die Aufgaben standen, zum Beispiel auf vier Blättern. Doch dann schicken die nicht ein .pdf, das vier Seiten hat, sondern sie schicken Dir vier .pdfs! Und dann bist Du erstmal eine halbe Stunde damit beschäftigt, das auszudrucken. Weil Du bei zum Beispiel fünf Fächern zwanzig Dateien öffnen und drucken musst, statt nur fünf Dateien zu öffnen. Und dann sitze ich hier, weil ich auch sonst nichts zu tun habe, und drucke erstmal eine halbe Stunde Unterlagen aus! Das hatte ich dann mal angemerkt und es wurde auch schnell geändert, aber klar, die Schule musste auch von jetzt auf gleich Lösungen finden.

Das sind so die Themen aus der Praxis.

Das ist dann fast schon ein Vorteil von Alleinerziehenden, dass Du nur mit Kind dasitzt. Wenn Du nun noch jemanden dabei hast, der auch im Homeoffice ist… Schwierig. (Schulterzucken) Du musst ja auch irgendwie arbeiten. Ich meine, wir haben’s gut, wir haben ausreichend Platz, aber nicht jeder hat das. Selbst, wenn Du eine große Wohnung hast: Wenn Du zwei Eltern hast, die von zuhause arbeiten und mehrere Kinder, die lernen müssen…. Das will ich mir nicht vorstellen.

 

…und alle drei parallel noch in irgendwelchen Meetings! (lacht)

(lacht) Ja, genau! Davon abgesehen, dass Du auch erstmal die ganze Technik haben musst.

 

Ja, das ist ja auch fast nochmal ein Thema für sich.

Ja, auf jeden Fall eine Herausforderung. Das kann man nicht anders sagen. Das ist schon auch kräftezehrend und ich bin froh, dass nun erstmal Ferien sind.

 

Nochmal zurück zur Kanzlei: Hast Du gemerkt, dass weniger Mandanten kommen oder warst Du aufgrund Deiner Spezialisierung im Datenschutzrecht dann doch mehr gefordert, wegen Zoom & Co.?

Die Themen haben im Datenschutzrecht für den Moment einen anderen Schwerpunkt bekommen, Stichwort Homeoffice, Zoom, Einbindung. Ich hab eher das Thema gehabt, dass ich neue Mandanten abgelehnt habe, weil ich es zeitlich einfach nicht hinbekam. Weil ich dann einfach sagen muss: Ich hab irgendwo Grenzen und was ist mir wichtig? Und dann sind mir mein Kind und meine Gesundheit wichtiger als Arbeit und Geld verdienen. Der Tag hat eben nicht mehr als 24 Stunden.

 

Glaubst Du, dass durch die weitere Zunahme oder den Ausbau von Homeoffice-Nutzung in den nächsten Monaten noch ein ganz neuer Bereich auf Dich zukommen wird?

Nee, Homeoffice ist ja seit jeher ein Thema im Datenschutzrecht. Ich glaube, es bekommt nur eine stärkere Gewichtung als bisher.

 

Ja, aber deutlich stärker, oder?

Ja, denke ich schon. Viele haben in der Hochzeit von „Corona“ einfach mal gemacht. Gefühlt jeder zweite Mitarbeiter hat dann zuhause mit seinem eigenen Rechner gearbeitet. (hebt beide Hände an die Stirn) Da kann man sich nur an den Kopf fassen. Da will man datenschutzrechtlich gar nicht drüber nachdenken. Es ist ein großes Thema, das nun natürlich eine Verstärkung erfährt. Und es wird auch Thema bleiben, nur sicherlich nicht in der Intensität wie teilweise im März/April, als eigentlich alle Unternehmen ihre Leute zuhause hatten. Inzwischen sind ja viele wieder im Büro. Aber ich denke, das ist schon das neue Modell, dass man das verstärkt nutzen wird. Weil’s für Unternehmen auch ein Kostenthema ist, denn sie können Büroraum sparen. Da wird das plötzlich sehr interessant. Jetzt waren sie ja quasi dazu gezwungen, weil sie irgendwie weiter funktionieren mussten, aber dann haben sie auch erkannt: Ach naja, im Prinzip können wir ja auf ein Drittel des Büroraums verzichten.

Man braucht die technische Infrastruktur, aber es muss auch datenschutzrechtlich  abgesichert sein. Und auch arbeitsrechtlich und was da noch so alles dranhängt. Das ist ein riesiges Thema.

 

Und bei Dir in der Kanzlei waren alle im Homeoffice?

Teils, teils. Im Prinzip eine Mischform, da wir von jeher sehr digital aufgestellt sind und nur ganz wenig direkten Mandantenkontakt in der Kanzlei haben, war das alles super entspannt. Da hatten wir in der Kanzlei auch nicht das Thema, dass man groß drauf achten musste, dass man keinem „zu nahe kommt“ oder Sicherheitsvorkehrungen für die Mandanten benötigt. Meine Mandanten, die allesamt aus dem Unternehmensbereich kommen, sind von jeher dankbar, wenn Alles per e-mail oder Telefon läuft. Da geht man lieber mal mit nem Mandanten Essen oder Golf spielen, statt sich in nem Meeting zu treffen.

 

Spannend! Das ist ja auch mal eine entspannte Art. Diese Mischung aus Beratung und Netzwerken zeigt ja auch, dass es nicht immer dieses starre „Anwalt/Mandant, Beratung nur im Meetingraum“ etc. sein muss, sondern auch Alles flexibler gehandhabt werden kann.

Absolut. Es ist ja auch eher so, dass ich zum Mandanten fahre und vor Ort berate. Gerade im Datenschutzbereich, da ich sozusagen „ins Unternehmen schaue“. Im Moment stellt man das aufgrund der Krise mitunter erstmal zurück.

 

Du hast sehr viel digitalen Mandantenkontakt: Akquirierst Du auch viel digital oder läuft es eher über Empfehlungen?

Im Prinzip 99% Empfehlungen bzw. auch aus dem eigenen, sehr unternehmerisch geprägten Netzwerk. Die wissen, was ich mache und irgendwann kommen sie. Auf digitalem Wege hab ich gelegentlich Anfragen, aber eher Einzelmandate. Leute, die eben im Internet suchen und sehen: Ah ja, die Anwältin ist in der Nähe und das passt vom Rechtsgebiet.

Ich bin da auch sehr wählerisch. Ich suche mir meine Mandanten aus.

 

Spannend! Unter welchen Gesichtspunkten?

Ich habe ganz viele Bestandsmandanten, die ich durchgehend betreue. Und wenn dann jemand Neues kommt, dann ist es schon so, dass ich das Erstgespräch persönlich führe und nicht digital oder telefonisch. Einerseits muss es natürlich fachlich passen, aber die Chemie muss eben auch passen.

Ich höre auf mein Bauchgefühl und frage mich: Ok, passt das oder passt das nicht? Und wenn mein Bauch mir sagt, das passt nicht, dann nehme ich das Mandat nicht an. Meine Erfahrung sagt mir: wenn das Bauchgefühl von Anfang an nicht stimmt, wird das ein anstrengendes Mandat. Da bist Du schon genervt, wenn Du nur den Namen auf der Anrufliste siehst, hast keinen Spaß an der Bearbeitung des Mandats, Telefonate und Abstimmungen mit dem Mandanten sind irgendwie „schwer“,… Das ist mir das Geld nicht wert. Die Erfahrung hab ich in jungen Jahren ein paar Mal gemacht und seither (schüttelt energisch den Kopf) mach ich das nicht mehr.

 

Bei welchen Verhaltensweisen merkst Du, dass die Zusammenarbeit schwierig werden könnte? Wird da um das Honorar gefeilscht oder woran macht sich das fest?

Das macht sich zum Beispiel daran fest, dass Du kommunikativ nicht so ganz auf einer Ebene bist, irgendwie aneinander vorbeiredest und Du ein unterschiedliches Verständnis von Beratung hast. Dass der potentielle Mandant zum Beispiel meint, er wüsste es besser als ich, weil er das so im Internet gelesen hat. Ich selbst kann da nicht so mitreden, aber der Klassiker sind da wohl die Lehrer.

 

…wobei die ja nicht zu Deinen Mandanten gehören.

Ja, aber dieses: „Ich habe da mal einen Schriftsatz vorbereitet. Gucken Sie doch mal drüber.“ Ich so: „Nee. Wenn, dann setze ICH einen Schriftsatz auf und SIE gucken drüber.“ (lacht)

 

Ja, so wie bei den Ärzten wahrscheinlich. Die können vermutlich auch ein Lied von Patienten singen, die sich ihre Diagnose googlen.

Genau. Und was mein Honorar betrifft, das verhandle ich eigentlich nicht. Im Unternehmensbereich will selten jemand verhandeln. Selbst wenn, dann ist das für mich kein k.o.-Kriterium, denn Verhandeln oder es zumindest zu versuchen, gehört als Unternehmer durchaus dazu. Es ändert aber nichts daran, dass meine Honorare feststehen.

Es ist eher die Chemie. Wenn ich ein Mandat fachlich abdecken kann, würde ja erstmal nichts dagegen sprechen, es anzunehmen, aber entscheidend ist das, was ich auf den anderen Ebenen wahrnehme, wie jemand kommuniziert, wie er reagiert. Und ich will bei der Arbeit Spaß haben.

Es gibt Mandanten, mit denen lache ich so viel, wenn ich vor Ort bin oder mit ihnen telefoniere. Das ist so witzig. So wie wir beide ungefähr, es geht auch mal ein „Spruch“ hin und her und trotzdem ist es natürlich fachlich fundiert und ergebnisorientiert. Und das ist das, was ich will. So macht mir Arbeit Spaß.

 

Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Wie hast Du eigentlich die Gerichte im Umgang mit „Corona“ erlebt?

Ich betreue nur sehr wenige gerichtliche Verfahren. Bei den wenigen allerdings gab es eine merklich verzögerte Bearbeitung, weil die natürlich auch im Homeoffice waren. Und vor allem eine noch schlechtere Erreichbarkeit. Das ist per se ja schon relativ schwer. Und natürlich ist der Grad der Digitalisierung bei den Gerichten eher so „minus 3.0“ (dreipunktnull).

 

Würdest Du sagen, dass irgendwas analog tatsächlich besser klappt als digital?

Also ich bin tatsächlich ein großer Freund von analogen Meetings, auch wenn ich das ja schon sehr reduziert habe. In bin in jedem Lebensbereich ein Freund von persönlichen Meetings. Ich empfinde beispielsweise Zoom nach einer gewissen Zeit als sehr anstrengend. Es erschöpft mich wirklich physisch. Es ist was anderes, ob ich drei Stunden mit jemandem am Tisch sitze und in einer Gruppe Themen diskutiere oder ob ich drei Stunden in einer Videokonferenz sitze. Letzteres finde ich physisch deutlich anstrengender.

Selbst, wenn man sich sieht, aber schon in einem Moment, wo man nur mal kurz gleichzeitig spricht, wird es akustisch anstrengend. Und es geht eben doch auch Einiges auf anderen Wahrnehmungsebenen verloren. Seit jeher bin ich ein großer Fan von persönlichem Austausch zu bestimmten Themen. Das bewirkt auch eine andere Mandantenbindung. Das ist einfach so. Und selbst, wenn das Alles weitgehend per e-mail, telefonisch, digital läuft bei mir, mache ich auch noch regelmäßige  Meetings, weil das einfach anders bindet.

 

Hat „Corona“ für Dich im beruflichen Bereich irgendwas offengelegt, was ein Aha-Erlebnis war?

Also auf die Branche bezogen: wie erschreckend undigital sie ist. Wie rückständig es eigentlich ist. Über Gerichte müssen wir nicht sprechen, aber auch Kollegen. Man bekommt ja auch mit, was Kollegen erzählen, worüber man dann wirklich nur staunen kann. Wir leben im Jahr 2020. Doch ich faxe auch immer gerne noch mal. (lacht) Das ist, glaube ich, eine Anwaltskrankheit. Und bei irgendwelchen Behörden, die ja auch kein beA haben, hat das ja auch was mit Nachweis zu tun, wenn ich einen Sendebericht habe. Naja, und e-mails… An sich darfst Du aus Datenschutzsicht nur verschlüsselte e-mails verschicken. Ja, kann ich verschicken, kann nur keiner öffnen. Super. Da kommst Du an Grenzen in der Praxis. Und dann nimmst Du halt das Fax. Ist schneller als ein Brief und trotzdem hast Du den Nachweis.

 

Wo hakt es Deines Erachtens bei vielen Kollegen?

Gefühlt würde ich sagen: schlicht an der technischen Infrastruktur. Ich glaube, viele haben durch Corona gemerkt, wie schlecht ihre Infrastruktur ist, auch was Homeoffice betrifft. Klar, e-mail können inzwischen die meisten, wobei meine Wahrnehmung auch ist, dass sich Kollegen mitunter schwer damit tun. Das ist auch ein Thema, berufsrechtliche Verschwiegenheit und Datenschutz, das ist hoch problematisch. Aber mal kurz Terminabstimmung oder Rückrufbitte per e-mail, kann man schon mal machen, oder?

 

Nimmst Du wahr, dass diejenigen es erkennen und daran arbeiten oder glaubst Du, sie ziehen den Kopf ein und hoffen, dass „Corona“ schnell vorbeigeht und sie dann weiter wurschteln können?

Ich glaube, es gibt beides. Es hängt zum einen mit dem Alter, aber auch stark mit dem Bereich zusammen, in dem Du tätig bist. Kollegen im Unternehmensbereich haben eher die Notwendigkeit, auch technisch passend aufgestellt zu sein, als welche, die nur Mietrecht oder Familienrecht machen. Die sind nach meiner Einschätzung mehr auf Mandantenkontakt in der Praxis angewiesen. Man kann diskutieren, ob das nötig ist, aber ich glaube, es ist in der Praxis so: Herr Müller, der ein Mietrechtsproblem hat, der klingelt in der Kanzlei und sitzt dann da. Der ruft nicht an und fragt: Können wir das nicht irgendwie anders lösen: über Videokonferenz, cloud, e-mail oder sonstwas? Unternehmer hingegen sagen: Ok, wenn ich hier erst zu Ihnen kommen muss, das ist meine Zeit, das ist mein Geld. Und bei Meier/Müller/Schulze, da hast Du andere Notwendigkeiten als Anwalt und Kanzlei als bei Unternehmen, es sind einfach andere Themen. Eine andere persönliche Betroffenheit und Emotionalität. Da ist dieser persönliche Kontakt wichtiger, zumindest am Anfang.

 

Für Privatleute ist so eine anwaltliche Beratung ja oft auch etwas Besonderes.

Ja, und auch aufregend! Insofern kannst Du den Beratungsablauf in bestimmten Bereichen nur teilweise digitalisieren, weil Du Dir sonst auch viel abschneidest. Es optimiert die eigene Kanzleistruktur, aber ich sehe da schon andere Notwendigkeiten, wenn man überwiegend Privatmandanten hat.

 

Wenn Du ein Fazit der letzten Monate ziehst, siehst Du irgendwas Positives, was „Corona“ Deiner Arbeit oder Eurer Branche gebracht hat?

Grundsätzlich, dass Arbeitsstrukturen neu und anders gedacht werden. Dass Homeoffice möglich ist, auch in unserem Bereich. Wobei wir ja auch immer noch erschwerende berufsrechtliche Hintergründe haben.

Aber auch, dass man auf der anderen Seite Homeoffice mal kritischer betrachtet, weil man durch die Dauer dieser besonderen Umstände auch merkt: Naja, ist schon ein anderes Arbeiten als im Büro. Wobei man zu normalen Zeiten natürlich in der Regel nicht die ganze Familie zuhause sitzen hat. Aber oft ist dann auch schon mal ein Kind da und das hat man vorher gern so ein bisschen schöngeredet. Ich glaube, das relativiert sich gerade ein wenig.

 

Und man sieht Vor- und Nachteile vom Homeoffice. Ein großer Vorteil ist ja, dass überhaupt weitergearbeitet und kommuniziert werden kann. Aber eben oft nicht so effizient.

Ich glaube, dass es schon zu einer verstärkten Digitalisierung in dem Bereich kommen wird. Und dass gerade jene, die noch nicht so aufgestellt waren wie ich, durchaus auch erkennen, dass man – auch mit Privatmandanten – Gespräche auch mit Zoom oder einem sicheren anderen Tool führen kann und das auch zum Ziel führt. Man muss es ja nicht jedes Mal machen, sondern kann eine Mischform wählen.

 

Ja, ich glaube auch, dass das ein großes learning aus dieser Zeit ist: Mischformen, was auch Homeoffice angeht. Eine größere Flexibilisierung in allen Bereichen. Ich glaube, das würde zu einer größeren Zufriedenheit von vielen Festangestellten führen, gerade auch den Eltern, wenn sie flexibel wählen könnten, wann sie Homeoffice machen.

Was auch wünschenswert wäre: Man hat das vereinzelt mal gehört, dass es einzelne Gerichte gab, die per Video Verhandlungstermine gemacht haben. Das finde ich total super, gerade, wenn die Beteiligten von weit her kommen. Ich habe jetzt z.B. ein Verfahren, das ist in Berlin. Mein Mandant lebt in den Niederlanden, das Unternehmen, das er verklagt, hat seinen Sitz in Berlin, aber der Geschäftsführer und alle Beteiligten sitzen in der Schweiz. Alle müssen anreisen. Was für ein Irrsinn! Welch Zeit- und Ressourcenverschwendung. Das kann man super per Video machen.

 

Das würde auch viele Terminsvertretungen obsolet machen.

Klar, schlecht für diejenigen, die viele Terminsvertretungen machen, aber letztlich ist der Mandant meines Erachtens besser beraten, wenn’s derjenige macht, der es bearbeitet hat und in der Angelegenheit „steckt“. Zumindest bei umfangreicheren Mandaten.

Also das wäre schön, wenn man das mal forcieren würde.

 

Ein super Schlusswort. Vielen Dank für das Gespräch!