„Der Anwalt hat eine Lotsenfunktion, wenn er Start-ups berät“

Dr. Timo Ehmann ist Rechtsanwalt in München und berät IT-Unternehmen, Start-ups und viele Aktive in der Tech-Landschaft. Für Juristen eine der spannendsten Aufgaben überhaupt. Diese kommen mit komplexen Problemstellungen daher. Ein Gespräch über die Zukunft der Digitalwirtschaft, Anwälte als Lotsen durch IT-Täler und wie die Digitalisierung den Gesetzgeber stets auf Neue herausfordert.

 

Wie hoch ist der Anteil von Start-ups unter Ihrer Mandantschaft?

Ich berate geschätzt 15 bis 18 Start-Up-Unternehmen pro Jahr, davon ist circa die Hälfte in der Wachstumsphase mit mehr als 50 Mitarbeitern, die andere Hälfte ist ganz am Anfang mit Null Euro Umsatz. Der Beratungsbedarf ist vielseitig, konzentriert sich aber am Anfang oft auf die rechtliche Konkretisierung der Geschäftsmodelle in den ersten Verträgen mit Kunden und Lieferanten. Dort werden dann die Vorstellungen des Startups von seinem Leistungsspektrum in die Rollen überführt, welche die Rechtsordnung für vergleichbare Angebot vorsieht. Anwälten kommt dabei eine Art Lotsenfunktion zu. Neben der zivilrechtlichen Rollendefinition spielt auch das Thema Datenschutz eine große Rolle bei der Entwicklung neuer digitaler Produkte.

 

Inwiefern genau?

Es wird beispielsweise stets problematisch, wenn Daten von echten Menschen ins Spiel kommen. Insbesondere, wenn Geschäftsmodelle auf der Verarbeitung von Daten Dritter, beispielsweise durch die Auswertung biometrischer Daten beruhen, bestehen spezifische Anforderungen an die Ausgestaltung eines Produkts. Hinzu kommt, dass die datenschutzrechtliche Positionierung im Vertrieb eine entscheidende Rolle spielt, weil der Kunde ja kein Produkt kaufen will, mit dem er selbst gegen das Datenschutzrecht verstoßen würde. Wie komplex sich dieser datenschutzsensitive Bereich darstellt, wird von Gründern oft unterschätzt.

 

Welches große Klischee begegnet Ihnen immer wieder?

Viele glauben, dass in FinTechs oder Gesundheits-Apps große Chancen liegen, was auch an der häufigen Medienberichterstattung liegt. Insbesondere Finanzdienstleistungen sind aber sehr margenschwache Felder, viele Konsumenten erwarten hier kostenlose Produkte oder sind nicht bereit, viel zu zahlen. Dem stehen aber zeitintensive Ideenentwicklung und je nach Produkt ein großer Programmieraufwand gegenüber. Das heißt nicht, dass der FinTech-Markt nicht sehr interessant ist, sondern eher, dass FinTech-Modelle meines Erachtens besonders schwierig umzusetzen sind. Auch der Gesundheitsbereich ist ein eher schwieriges Terrain für unerfahrene Start-Ups, da auch dieser wie auch die Finanzdienstleistungsbranche sehr regulativ ist, was viel Rechtsberatung und detaillierte Prozessdokumentation erfordert. Nicht zu vergessen die Konkurrenz mit ähnlichen Angeboten.

 

Kann der Gesetzgeber auf Probleme immer nur reagieren?

„Neue Technik bringt neues Recht hervor“, sagte ja schon Karl Jaspers Mitte des vorigen Jahrhunderts. Das ist also nicht neu. Neu ist die Geschwindigkeit grundlegender Veränderungen und die Menge neuer rechtlicher Herausforderungen. Die Digitalisierung hat schon das Urheberrecht stark unter Druck gesetzt.  3-D-Druck, Virtual Reality und das Internet der Dinge stehen noch so am Anfang, dass wir nur erahnen können, welche Menge an Rechtsfragen an diesen Technologien hängen. Ein Beispiel: Lego-Steine sind durch eine dreidimensionale Marke geschützt. Wenn die Technik soweit ist, dass jedermann die Steine mit 3-D-Druckern nachdrucken kann, wird sich der Markt verändern. Diesbezügliche Rechtsfragen landen aber nur mit starker Verzögerung beim Anwalt und der Gesetzgeber reagiert auch oft erst, wenn handfeste Probleme im wirtschaftlichen Alltag auftreten und politischen Handlungsdruck erzeugen. Das muss man wohl so hinnehmen, auch wenn manchmal eine vorausschauende Gesetzgebung wünschenswert wäre.

 

Was hat selbst Sie als digital sehr affinen Juristen zuletzt überrascht, was die boomenden Zweige der Digitalisierung betrifft?

Das sind Aufstieg und Bedeutung der Influencer, das war schon eine Sache, bei der ich seinerzeit nicht vermutet hätte, dass hieraus eine solche Szene entsteht und vor allem einträgliche Geschäftsmodelle.

 

Trifft es zu, dass die Künstliche Intelligenz, KI, immer noch in den Kinderschuhen steckt, gerade auch in der Rechtsberatungsbranche?

Das tut sie auch. Die Angebote, die wir derzeit haben, sind ja automatisierte Dienstleistungen im Internet, in denen Nutzer einen Fragenkatalog durchlaufen, der zu einer Empfehlung führt, wie z.B. im Bereich der Bußgeldbescheid-Überprüfung oder bei der am Ende ein Dokument erzeugt wird, z.B. ein einfacher Mustervertrag. Darüber hinaus gibt es Modelle, die auf Textanalyse und Datenextraktion in Verträgen beruhen. Ob man das bereits KI nennen will, ist sicher Ansichtssache. KI-Technologien wie neuronale Netze werden nach und nach zur Basistechnologie, die eine neue effiziente Datenverarbeitung ermöglichen. So finden überall neue Anwendungsfelder in allen Branchen statt, ob in der Automobilherstellung, im Gesundheitswesen oder der Logistik.

Eine aktuelle Studie von Kaspersky stellt heraus, dass Anwender immer mehr persönliche Daten preisgeben, um die Funktionen intelligenter Geräte besser ausnutzen zu können. Mit zunehmender KI würden mehr Daten erhoben, womit das Bedrohungspotential wachse. 

Das sogenannte „Nudging“, bei denen natürliche Personen mit kleinen Anreizen personenbezogene Daten entlockt werden, um damit insbesondere zielgenauere Werbung ausliefern zu können, ist sicher ein vielschichtiges Problem. Einerseits hat man sich an den Nutzen der Services der großen Internetkonzerne gewöhnt. Andererseits ist ein diffuses Unwohlsein mit dem Kontrollverlust über die eigene digitale Persönlichkeit weit verbreitet. Obwohl das natürlich vor allem ein datenschutzrechtliches Thema ist, hat sich das Datenschutzrecht bisher nur als bedingt geeignet erwiesen, diese Fragen zu lösen. Nicht zuletzt deshalb rückt ja zunehmend auch das Kartellrecht in den Fokus, denn man muss schon ein sehr großes Unternehmen sein, um aus den kleinsten Datenspuren ein mächtiges Wirtschaftsgut zu machen.

 

Was ist insoweit datenschutzrechtlich problematisch?

Aus dem Grund ist der datenschutzrechtliche Ansatz, dass für Google dieselben Regularien gelten, wie für den Handwerksbetrieb um die Ecke, eher ein Teil des Problems als ein Teil der Lösung. Gerade bei der KI sieht man einen Trend zum Blackboxing, also dass viele Abläufe nicht sichtbar sind und damit auch Fragen nach der Verantwortlichkeit entstehen. Man muss die Abläufe, die bei der KI entstehen, transparent halten und nachprüfbar machen. Es ist eine staatliche Aufgabe, diese Transparenz und die Kontrollierbarkeit von den Digitalkonzernen einzufordern und das auch durchzusetzen. Insofern finde ich es problematisch, wenn von behördlicher Seite teilweise versucht wird, diese Aufgabe auf den Konsumenten zu verlagern, der einen Dienst nur so nutzen kann wie er ist.

 

Die Digitalwirtschaft geht auch mit Abhängigkeiten einher, z.B. auf attraktiven Plattformen seine Produkte anzubieten. Apple warf kürzlich das Spiel Fortnite von Epic Games aus seinem Appstore, nachdem der Fortnite-Anbieter den Spielern ermöglichte, Käufe auch direkt bei ihm zu bezahlen – und damit die übliche Abgabe an Apple zu umgehen.

Tatsächlich ist die Dominanz der Großen und die Abhängigkeit von Anbietern oder Plattformen schwierig, man kann ein Streben nach Monopolen beobachten. Teil des Wettbewerbs ist ja auch immer ein Preiswettbewerb. Da die Google-Suche kostenlos ist, ist der Wettbewerb an der Stelle zu Ende, weil kein Anbieter sich mit einem günstigeren Angebot an die Qualität der Dienstleistung heranarbeiten kann. In den App-Stores funktioniert das ein wenig anders, aber vom Prinzip her ähnlich. Es ist nicht nur eine kartellrechtliche Frage, sondern auch eine wirtschaftspolitische Frage, wie man dieser natürlichen Tendenz der Digitalwirtschaft zur Monopolbildung begegnen will.