Die Sprossen der Digitalisierung im Recht und Rechtsalltag sowie die Entwicklungen drumherum: Auf dieser Ebene forscht und entwickelt das Legal Tech Center in Berlin. Es lanciert auch fachspezifische Workshops und Konferenzen. Im Gespräch mit Center-Gründer und Leiter Stephan Breidenbach geht es um die Digitalisierung im Anwaltsberuf und wie Legal Tech die Rechtsbranche verändert.
Wie beurteilen Sie den Erfolg der Digitalisierung in der deutschen Justiz in den vergangenen Jahren?
Die Justiz holt langsam auf. Allerdings auch von einem sehr niedrigen Niveau. Es fehlt schon an einfacher IT-Infrastruktur. Von Legal Tech kann nicht die Rede sein. Gerade bei massenhaft anhängigen Verfahren würde das jedoch sehr helfen.
Reagiert die Anwaltschaft schon mit neuen Arbeitsmodellen oder Angeboten, wie zum Beispiel in Form von interdisziplinären Teams? Oder werden die Entwicklungen von der Juristenzunft noch als weit entfernt wahrgenommen?
Das Thema Digitalisierung ist in der Anwaltschaft angekommen. Was genau heißt das? Es gibt keine Großkanzlei, die nicht bereits versuchsweise Legal Tech einsetzt. Erst wenige Kanzleien setzen allerdings bereits voll auf digitale Werkzeuge und stellen ihre gesamten Prozesse um. Die Mehrheit der deutschen Anwälte beobachtet das Thema entweder gleichgültig, da sie sich nicht betroffen sehen, oder mit einer gewissen Sorge, welche Auswirkungen dies auf ihr Geschäftsmodell haben wird. Neue Angebote und Preismodelle werden gerade sichtbar oder sind in Vorbereitung. Aus meiner Sicht wird Digitalisierung im Recht weit mehr verändern, als das bisher wahrgenommen wird.
Treibt die Corona-Pandemie die Entwicklungen im Legal Tech-Bereich voran, insbesondere was den Einsatz von Videotelefonie, Rechtsvisualisierung und cloudbasierter Teamarbeit betrifft?
Wie überall wächst das Verständnis, dass Videokonferenzen viele Termine mit persönlichem Kontakt auch nach Corona ersetzen können. Die Pandemie hat darüber hinaus wahrnehmbar den Effekt, mehr für digitale Möglichkeiten zu sensibilisieren.
Legal Tech wird häufig noch allein mit automatisierten Rechtsdienstleistungen im Internet assoziiert. Welche konkreten Perspektiven sehen Sie für Legal Tech?
Die Zukunft von Recht und Regeln ist Code. Anwälte werden digitale Produkte entwerfen und damit einen Teil der individuellen Beratung ersetzen. Rechtsabteilungen werden mit Generatoren rechtssichere Verträge für Vertrieb, Einkauf etc. vorbereiten und pflegen. Es geht immer mehr darum, juristische Laien zu unterstützen, von Unternehmensjuristen unabhängig selbstständig zu agieren. Recht wird immer komplizierter. Im Energierecht reichten früher ein paar Hundert Paragrafen. Heute sind es weit mehr als 10.000. Wie können Juristen dazu beitragen, Bewegungsfähigkeit in komplizierten rechtlichen Umwelten herzustellen? Digitalisierung hat hier eine enorm wichtige inhaltliche Aufgabe jenseits von Effizienz.
Der Umgang mit Daten …
liegt als wichtigstes Thema noch vor uns. Es reicht nicht, Textbausteine aneinander zu reihen. Unternehmen wie Legal OS ermöglichen eine konsequente digitale Struktur von Verträgen und Dokumenten. So stehen alle Daten hochaufgelöst für die Strategie des Unternehmens zur Verfügung. Anwälte werden hier vor der Frage stehen, ob sie Teil der Produktentwicklung werden oder dies den Unternehmen und neuen Dienstleistern überlassen.
Welche Perspektiven zeigen sich für mittlere Kanzleien, die eigene Rechtsberatung und die Mandantenakquise zu optimieren?
Die Digitalisierung ermöglicht Innovationen und neue Geschäftsmodelle. Das sind enorme Chancen für mittlere und kleine Kanzleien, sich hier zu profilieren. Wie in jedem neuen Markt wird viel versucht werden, bis sich tatsächlich neue Modelle etablieren. Die wichtigste Entwicklung wird sein, mehr zu erforschen, was Mandanten wirklich brauchen und Lösungen danach zu gestalten, also Legal Design.
Wenn Sie die Konferenzen und Workshops Ihres Legal Tech Centers in diesem Jahr rekapitulieren: Welche exponierten Themenkomplexe würden Sie nennen?
Das Wichtigste ist derzeit, Verständnis für Möglichkeiten und Timing zu entwickeln. Was muss jetzt in Angriff genommen werden und wo kann man die Entwicklung des Marktes abwarten? Anwälte und Unternehmen fragen sich, mit welchen Werkzeugen und welchen Schritten sie starten können. Praxis und praktischer Rat sind gefragt. Dabei ist besonders wichtig, wie weit in die Zukunft digitale Tools angelegt sind. Vieles aus der ersten Generation Legal Tech kann hier nicht mehr mithalten. Momentan geht es vielmehr vor allem um die intelligente und konsequente Digitalisierung von Verträgen und Dokumenten, die alle Daten automatisch zur Verfügung stellt.
Wird sich die Beratungsebene weiter verschieben, wenn Rechtsuchende keinen Anwalt mehr aufsuchen, da sie niedrigschwellige juristische Informationen auf juristischen Plattformen im Netz finden?
Beratung bleibt Anwaltssache. Die Frage ist nur, wie digital sie organisiert und gestaltet wird.