Von der Festanstellung zur Selbständigkeit als Anwalt – Wann ist der richtige Zeitpunkt?

Meist beginnt es mit einer diffusen Unzufriedenheit, die man zunächst vielleicht gar nicht wahrnimmt, zumindest aber nicht direkt einzuordnen weiß. Wenn man sonntagabends regelmäßig Magenschmerzen bekommt und am Montagmorgen bereits das Wochenende herbeisehnt, ist das ein untrügliches Zeichen dafür, dass etwas nicht stimmt. Beruflich. Der jährlichen Gallup-Studie zufolge ist ein Großteil der Angestellten in Deutschland unzufrieden im Job. Viele von ihnen finden sich einfach damit ab. Die Reflektierteren jedoch erkennen, dass sie aktiv etwas tun müssen, wenn sie nicht weiterhin die nächsten Jahre an fünf von sieben Tagen in der Woche gereizt und unzufrieden im Büro sitzen wollen. Der dann eintretende Findungsprozess bis zur finalen Entscheidung, tatsächlich zu kündigen, macht für den Juristen einen Großteil des „Sprungs in die Selbstständigkeit“ aus. Zunächst muss die innere Stimme Gehör finden und die Situation bestmöglich analysiert werden.

Kontrolle, Chef und Hamsterrad – Unzufrieden in der Festanstellung

Die berufliche Situation kritisch zu reflektieren, ist der erste Schritt zur Veränderung. Eine wichtige Frage, die man sich als angestellter Anwalt oder Unternehmensjurist stellen muss, ist die nach dem Grund: Warum bin ich in meinem Job unzufrieden? Oft besteht das Problem nur in dem Unternehmen bzw. der aktuellen Kanzlei. Auslöser gibt es viele, sei es ein schlechtes Büroklima, unnötig hoher Druck oder ein narzisstischer Chef. In solchen Fällen wird der Wechsel des Arbeitgebers oftmals schon die Lösung bringen.

Vielleicht verursacht aber auch etwas viel Grundsätzlicheres die Frustration, nämlich Fremdbestimmung, starre Strukturen und strenge Hierarchien im klassischen Angestelltenverhältnis. Oder das Gefühl des „Hamsterrads“. Die rein intellektuelle Herausforderung interessanter Mandate reicht dann irgendwann nicht mehr aus, um zu kompensieren, was fehlt: Freiheit und Selbstbestimmung.

Doch die Unzufriedenheit muss schon besonders ausgeprägt und langanhaltend sein, bevor Angestellte ihre Komfortzone verlassen, um den ungewissen Pfad der Selbstständigkeit einzuschlagen. Insbesondere, wenn es sich beim aktuellen Arbeitgeber um eine renommierte Großkanzlei handelt, das Gehalt hoch und der Karriereweg quasi vorhersehbar ist. Diese Merkmale sind durchaus ein gewisses Schwergewicht in der Waagschale.

Und so ist es oft auch schlichtweg eine Sache der individuellen Werte, welchen Weg man einschlägt. Während bei Angestellten meist die Sicherheit der Festanstellung weit oben steht, formulieren (angehende) Selbstständige ganz andere Ziele: Der Wunsch, etwas ganz Neues zu machen oder die Suche nach mehr Sinn in der Arbeit. Man hat die Möglichkeit, eine eigene Kanzleikultur zu schaffen und den Umgang mit sich selbst, dem Personal, den Kollegen und nicht zuletzt auch den Mandanten nach eigenen Werten und Regeln zu gestalten. Und auch anderen Bedürfnissen wie etwa dem Wunsch, genug Zeit für Partnerschaft, Hobbies und Reisen zu haben, kann man als selbstständiger Anwalt Raum geben.

Wenn Arbeit plötzlich Freude macht

Es gibt ein bekanntes Zitat von Tony Robbins: „To make profound changes in your life, you need either inspiration oder desperation.“ – Inspiration oder Verzweiflung. Bei dauerhafter Frustration über verkrustete Strukturen im aktuellen Job steht man vor der Wahl: Love it, change it or leave it. Klingt erstmal verzweifelt. Doch hier kommt – neben der Unzufriedenheit – bestenfalls noch ein weiterer Faktor ins Spiel, denn niemand gibt ein sechsstelliges Gehalt samt Sozialleistungen und konstanter Versorgung mit Mandaten auf, um in die Unsicherheit zu wechseln, wenn da nicht noch etwas Anderes ist: Inspiration! Die Lust auf die Selbstständigkeit! Statt die Kündigung nur als „Erlösung von all dem Übel der Festanstellung“ zu sehen (extrinsische Motivation), liegt der Fokus vielmehr darauf, dass man kündigt, weil man große Lust auf die Arbeit als Selbstständiger hat (intrinsische Motivation).

Natürlich bedeutet erste Selbstständigkeit ganz besonders erstmal eines: Arbeit, Arbeit, Arbeit. Doch da sieht man eben auch, ob man für die Selbstständigkeit gemacht ist, denn wo der Eine grübelt oder gar darüber klagt, dass man als Selbstständiger ja Alles selbst machen muss (selbst und ständig), sieht ein Anderer gerade darin den großen Vorteil. Man selbst ist der Chef. Ob Arbeitszeiten oder Urlaubsregelung, Kanzleikultur oder Personalfragen, Digitalisierung oder Marketing, Art der Mandatsbearbeitung oder Umgang mit den Mandanten – man kann Alles nach eigenem Gusto gestalten. Natürlich bedeutet das für einige Bereiche, dass man erstmal Erfahrung sammeln muss und eben auch für Alles die Verantwortung trägt, doch das ist nun einmal das Wesen der Selbstständigkeit. Das muss man wollen. Wäre Alles ein Kinderspiel, wären nicht bloß etwa 10% der Erwerbstätigen selbstständig.

Die Zweifel: Werde ich genug verdienen?

Hat man erstmal den Entschluss gefasst, zu kündigen und die Erkenntnis gewonnen, dass man sich selbstständig machen will, kommen die nächsten Zweifel. Vor der Kündigung macht man sich Gedanken über „das Danach“: Werde ich allein genug Mandanten gewinnen? Bin ich all dem gewachsen? Es ist nur allzu verständlich, dass man sich solche Fragen stellt, denn in vielen Punkten ist die Selbstständigkeit so etwa das genaue Gegenteil der Festanstellung. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde dem angestellten Anwalt ja auch immer gesagt, was er zu tun hatte: von den Eltern zuhause, von den Lehrern in der Schule, den Dozenten in der Uni und schließlich den Chefs in den Jahren der Festanstellung. Als Selbstständiger hingegen bekommt man nicht mehr die Vorgänge auf den Tisch, sondern erst nach erfolgreicher Akquise neuer Mandanten. Und darüber hinaus übernimmt man – zumindest anfangs – auch alles Andere selbst: Marketing, Fallbearbeitung, Sekretariat, Buchhaltung.

Doch Zweifel gehören zur Selbstständigkeit dazu, nicht nur bei Anwälten. Und Zweifel können den Rechtsanwalt auch noch nach Jahren in der Selbstständigkeit ereilen, insbesondere als Einzelkämpfer. Insofern darf man sich von aufkommenden Zweifeln nicht verunsichern oder gar vom Weg abbringen lassen. Eine gewisse Risikobereitschaft ist für die Selbstständigkeit schließlich unabdingbar. Oder wie der McDonald’s-Gründer Ray Kroc es formulierte: „If youre not a risk taker, you should get the hell out of business.

Der strategisch geplante Ausstieg

Wenn dann einmal die Zweifel weitestgehend ausgeräumt sind, kann es losgehen. Der Ausstieg ist strategisch zu planen: Welche ersten Maßnahmen zur Vorbereitung der Selbstständigkeit sind einzuleiten? Wann kündige ich? Wie kommuniziere ich es?

Prämisse wird sein, den alten Arbeitgeber – sofern möglich – im Guten zu verlassen. Man sieht sich schließlich immer zweimal im Leben. Sofern man sich im selben Fachgebiet selbstständig macht, dürfte das schon die erste Herausforderung darstellen, denn man ist zukünftig Mitbewerber und manch ein Chef befürchtet vielleicht, dass womöglich Mandanten mitgehen.

Es ist sicher hilfreich, sich mit Kollegen auszutauschen, die den Schritt von der Festanstellung in die Selbstständigkeit als Einzelanwalt schon gegangen sind. Die Wenigsten haben ihre Entscheidung im Nachhinein bereut. Und wer nach einigen Monaten oder Jahren tatsächlich merken sollte, dass die Selbstständigkeit nichts für ihn ist, kann sich notfalls ja auch immer wieder anstellen lassen. Nichts ist in Stein gemeißelt. Wir haben immer eine Wahl.