„Im Freshfields Lab entwickelte Lösungen haben zumeist einen globalen Anwendungsbereich“

Das ist nicht neu: Die Digitalisierung pflügt die Rechtsbranche um. Sie treibt jedoch nicht nur auf technischem Gebiet neue Ansätze vor sich her. Auch die Konzentration von Expertenwissen gehört dazu. Die Zusammenarbeit von Anwalt und Mandant sowie die Kombination mit schnell verfügbarem Fachwissen von Nichtjuristen – sieht so die Zukunft aus? Ein Blick in das brodelnde Jura-Labor „Freshfields Lab“ in Berlin macht es vor. Die Juristen Gerrit Beckhaus und Lukas Treichl arbeiten dort. Ein Gespräch über den Einsatz von KI im juristischen Alltag, fachübergreifende Teamarbeit und wann digitale Prozesse ihre Stärken ausspielen.

 

Die Wirtschaft war in den vergangenen Jahren nicht arm an Skandalen: Von den Panama-Papers über den VW-Dieselskandal bis hin zum Wirecard-Desaster. Immer wieder geht es um die schnelle Auswertung enormer Datenmengen. Ist die Aufbereitung von Daten derzeit noch der entscheidende Vorteil von Legal Tech?

Dr. Gerrit Beckhaus – Counsel, Co-Head Freshfields Lab

Gerrit Beckhaus: Der Umgang mit großen Mengen an Daten, insbesondere die Strukturierung und Analyse, ist sicherlich eine zentrale Herausforderung,  mit der wir uns im Freshfields Lab intensiv befassen. Technologie in die Rechtsberatung zu integrieren – daran führt kein Weg vorbei. Diese Herausforderung geht aus meiner Sicht über die genannten Beispielsfälle hinaus. Auch abseits von Massenklagen oder „Internal Investigations“, also wenn Anwälte Dokumente ihrer Mandanten prüfen, um mögliche Rechtsverstöße zu identifizieren. Ein Beispiel: Im M&A-Transaktionsgeschäft, mit dem ich mich schwerpunktmäßig befasse, hat sich die in die Risikobewertung einzubeziehende Datenmenge in den vergangenen Jahren erheblich vergrößert. Letztlich ist es ja ein Kernbereich der Anwaltstätigkeit, eine unstrukturierte Datengrundlage aufzubereiten, zu analysieren und für das Ergebnis dieser Analyse, also die ermittelten Risiken, Abwendungsmöglichkeiten zu entwickeln.

Lukas Treichl: Der Einsatz von Technologie, und ich würde das nicht auf Legal Tech beschränken, ermöglicht nicht nur, der Datenmengen Herr zu werden, sondern bietet insbesondere durch das Schaffen von strukturierten Daten auch ganz neue Möglichkeiten für Leistungen für unsere Mandanten. Und das nicht nur für das konkrete Mandat selbst. Erleichtert wird auch die Nutzbarkeit für künftige vergleichbare Fälle, also der Umgang mit dem Know-how, zum Beispiel im Aufbau von „Knowledge Engines“, also der umfassenden Aufbereitung und Verbreitung von Wissen innerhalb einer Organisationsstruktur.

 

Im Lab arbeitet ein Kollektiv zusammen, es kooperieren Gruppen, die von der Arbeit des anderen meist wenig oder nichts verstehen. Trotzdem müssen Abläufe zügig geschehen. Wie sieht das an einem konkreten Beispiel aus?

Lukas Treichl – Associate, Co-Head Freshfields Lab

Lukas Treichl: Im Freshfields Lab arbeiten wir projektbezogen in interdisziplinären Teams. Damit stellen wir in sämtlichen Projekten sicher, dass Personen mit den notwendigen Fachkenntnissen dabei sind. Transparenz und den gewinnbringenden Austausch der Teammitglieder untereinander stellen wir durch den Einsatz agiler Methoden sicher, etwa Daily Stand-Ups, das sind tägliche 15-minütige kurze Zusammentreffen, in denen man berichtet, an was man gerade arbeitet, in den Entwicklungssprints in regelmäßigen Feedback-Sitzungen. Typischerweise beginnen Projekte mit einem ein- oder zweitägigen Kick-Off-Workshop. Das heißt, das gesamte Team, idealerweise an einem Ort, beleuchtet das Problem von verschiedenen Seiten und konzipiert Lösungsansätze. Diese werden dann direkt in sogenannte „User Stories“ heruntergebrochen, also der Beschreibung der konkret erforderlichen Funktionen. Diese liegen der späteren Entwicklung zugrunde. Dieser Austausch beim Kick-Off-Workshop zeigt regelmäßig, dass juristischer und technischer Fachjargon, und auch die Denk- und Herangehensweise an Problemstellungen, nicht deckungsgleich sind. Die gemeinsame Projektarbeit fördert das Verständnis für den jeweils anderen „Fachbereich“ ganz erheblich.

 

Das sind nun nicht einfach Personen mit unterschiedlichen Berufen?

Lukas Treichl: Nein, selbstverständlich geht Diversität über unterschiedliche Jobbeschreibungen hinaus. Wichtig ist es, die richtigen Kompetenzen für das jeweilige Projekt zu identifizieren und an den Tisch zu bringen. Die Hauptaufgabe des Kick-Off-Workshops ist es, eine Kommunikationsbasis und Vertrauen im Team zu schaffen und sich dabei dem konkreten Problem und möglichen Lösungen anzunähern. Oft liegen Probleme nicht allein an der technischen Komponente des Projekts, sondern ganz im Gegenteil sind es oftmals Veränderungen bestehender Business-Prozesse, welche natürlich durch technische Lösungen bedingt sein mögen.

Gerrit Beckhaus: Die Arbeit in kleinen Projektteams führt neben effizienter Kommunikation auch zur Stärkung der Projektverantwortlichkeit bei allen Beteiligten. Der Einsatz von Teams mit diverser Besetzung stellt unseres Erachtens den Schlüssel dar, Projekte im Freshfields Lab erfolgreich umzusetzen. Wir würden aber noch etwas weiter gehen und behaupten: Diese Art des „Zusammen-Arbeitens“ stellt den Kern sämtlicher Transformationsprozesse in der Rechtsberatungsbranche dar, zumal gerade diese traditionell ein sehr segregiertes Rollenverständnis aufweist. Für die erfolgreiche Transformation gilt es daher diese Art der Zusammenarbeit und deren Ergebnisse in die Gesamtorganisation zu tragen.

 

 

 

Die automatisierten Dienstleistungsangebote wie flightright.de sind der Anfang der Möglichkeiten und haben noch nicht einmal mit KI zu tun. Glauben Sie, dass sich KI kurzfristig auch in juristischen Dienstleistungsangeboten etablieren kann und welche Aufgaben kommen hier auf den Gesetzgeber zu?

Gerrit Beckhaus: Künstliche Intelligenz und Anwendung entsprechender Konzepte im Rechtsbereich stecken nach unserer Erfahrung noch in den Kinderschuhen. Der Mehrwert beim Einsatz von Natural Language Processing, also die maschinelle Verarbeitung natürlicher Sprache, oder durch Künstliche Intelligenz unterstützte Entscheidungsfindung, ist aus unserer Sicht zwar unbestritten. Jedoch stellen sich beim praktischen Einsatz zahlreiche Fragen zur Einbettung in die anwaltliche Tätigkeit: Wie können entsprechende Tools überhaupt effektiv in bestehenden, von außen bestimmten Prozessen zum Einsatz gelangen? Wie kann man entsprechende Prozesse anpassen, sodass der Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Softwarerobotern jenseits von bloßen Effizienzsteigerungen und Erleichterung von repetitive Arbeitsschritte weiteren Mehrwert leisten kann? Wer garantiert für die Richtigkeit der Ergebnisse in diesem Zusammenhang?

Lukas Treichl: Im Freshfields Lab sehen wir vor allem Bedarf für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz beim Umgang mit unstrukturierten Textmassen. Algorithmen aus dem Einsatz von Natural Language Processing helfen uns, große Datenmengen zu klassifizieren und zu extrahieren. Die so gewonnenen Daten verwerten wir etwa im Rahmen der Simulation und Modellierung von finanziellen Risiken im Zusammenhang mit Masseverfahren. Außerdem arbeiten wir an selbstlernenden Algorithmen zur Identifizierung von Compliance-Verstößen in Echtzeit anhand von Datenströmen, etwa den E-Mail-Verkehr ganzer Unternehmen, die im Rahmen von „Internal Investigations“ laufend trainiert werden. Im Ergebnis können diese Risiken damit für unsere Mandanten sehr früh erkannt werden.

 

Wo sehen Sie künftig besondere Herausforderungen für Juristen?

Lukas Treichl: Gewaltiges Potential für die Rechtsbranche insgesamt sehen wir natürlich bei Lösungen wie Google Duplex. Dabei handelt es sich um eine Anwendung, die es ermöglicht Restaurantreservierungen per Telefon mit einem Roboter durchzuführen, wobei ein menschliches Gespräch simuliert wird. Hier gibt es aber wohl – auch außerhalb der Rechtsberatungsbranche – noch zahlreiche Herausforderungen und auch teils legitime Bedenken zu erkennen.

 

Legal Tech bzw. KI spielen ihre Stärken vor allem in der Verarbeitung und Textanalyse aus, was enorm Arbeitszeit einspart. Lässt der Ansatz vor allem den klassischen einseitigen „Anwaltsblick“ zurück?

Gerrit Beckhaus: Reine Effizienzsteigerungen sind nicht in unserem Fokus. Unter anderem mit diesen beschäftigt sich in unserer Organisation insbesondere der Freshfields Hub und unser Innovation Team. Bei unseren Lab Projekten geht es also nicht darum, repetitive Tätigkeiten zu automatisieren und damit effizienter zu gestalten. Vielmehr arbeitet das Freshfields Lab an der Lösung von komplexen Problemen an der Schnittstelle von Recht und Technologie.

Lukas Treichl: Das Recht ist dabei der Ausgangspunkt und gibt den Rahmen vor bzw. determiniert die zur Verfügung stehenden Prozesse für eine potenzielle Lösung, welche durch Technik und Automatisierung schließlich skalierbar werden. Viele der Problemstellungen in unserem Geschäft, also etwa im Bereich von Masseverfahren, Prüfung von Verträgen auf rechtliche Risiken im Rahmen einer Due Diligence oder Internal Investigations, lassen sich ansonsten nicht abbilden. Effizienzgewinne sind dabei natürlich regelmäßig ein sehr willkommener Nebeneffekt. Vielfach verlassen wir – von außen betrachtet notwendigerweise – den klassische Anwaltsblick beispielsweise bei den quantitativen Aufbereitungen von Risiken oder der übergreifenden Verzahnung der Beschreibung von Risiken mit dem Input anderer (etwa technischer) Berater im Rahmen unserer selbst entwickelten Dynamic-Due-Diligence Plattform.

 

Welche Vorteile bieten sich dadurch den Mandanten?

Lukas Treichl: Die Plattform erleichtert die Zusammenarbeit mit dem Mandanten bei der Durchführung von Due-Diligence-Prüfungen im Rahmen von Unternehmenstransaktionen. Dabei hat der Mandant jederzeit volle Transparenz über identifizierte Risiken und durch Aufbereitung von strukturierten Daten wird auch für die Zeit nach Abschluss der Transaktion – z.B. für die Integration des Unternehmens in die Zielstruktur – unmittelbar Wert geschaffen. Gleichzeitig dienen alle Produkte des Freshfields Lab unmittelbar unseren Mandanten im Rahmen der umfassenden Analyse, Bewertung und dem Umgang mit rechtlichen Risiken.

 

Wie viele Juristen und fachübergreifende Experten sind derzeit im Lab tätig und wie kann man sich grob verallgemeinert einen „Arbeitstag“ vorstellen?

Gerrit Beckhaus: Im Lab arbeiten wir vollständig projektbezogen und ziehen für die jeweiligen Projekte die erforderlichen Skills aus der Kanzlei zusammen, ggf. ergänzt um externe Spezialisten. An einem Projekt beteiligt sind neben Anwälten immer auch Spezialisten aus dem technischen Bereich, z.B. aus unserem Global Technology Department, und/oder dem Freshfields Hub. Vor diesem Hintergrund variiert die Anzahl der „Mitarbeiter“ bei Lab-Projekten erheblich. Es gibt aber ein Kernteam, aus dem Mitglieder an jedem Lab Projekt beteiligt sind. Hier vereinen wir vom Full Stack Developer, also jemand, der versiert in der Entwicklung von Software in mehreren Programmiersprachen ist, über Wirtschaftsmathematiker oder Datenanalysten unterschiedlichste Fachebenen.

Lukas und ich steuern die Projekte und sind – abhängig vom Einzelfall – mehr oder weniger direkt involviert. Verantwortlich für ein einzelnes Projekt ist dabei letztlich der jeweilige “Product Owner”. Selbstverständlich handelt es sich aber immer um eine Gemeinschaftsleistung des gesamten Teams und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Ausgangspunkt ist der Kick-off-Workshop, der alle Beteiligten zusammenbringt. Wie sich der „Alltag“ von dort aus weiterentwickelt, hängt dann sehr von Zeitvorgaben, Komplexität und Umfang der Aufgabenstellung ab. Unserem iterativen Ansatz für die Eigenentwicklung folgend haben aber alle Projekte intensive Entwicklungssprints gemeinsam.

 

Hat das Freshfields Lab Vorbilder aus den USA oder Großbritannien? Beide Länder haben innovative IT-Zentren und treiben den Einsatz von Technologie in der Rechtsbranche voran.

Lukas Treichl: Direkte Vorbilder in der Rechtsberatungsbranche liegen dem Konzept des Freshfields Lab nicht zu Grunde; uns ist hier auch kein Beispiel mit einer vergleichbar unmittelbaren Verzahnung von Beratung und Technologie bekannt. Wir haben uns aber natürlich mit Lab-Konzepten in anderen Branchen befasst. Ein branchenübergreifender Ansatz ist aus unserer Sicht unumgänglich. Ein Grund für die im Vergleich doch eher zögerliche digitale Transformation in der Rechtsberatung scheint uns zu sein, dass wir uns als Juristen gern auf „unseren Bereich“ konzentrieren und traditionell weniger den Austausch mit anderen Branchen suchen. Der häufig angestrengte Begriff des Silos, wenn der Austausch von verschiedenen Bereichen in Organisationen oder zwischen unterschiedlichen Branchen nicht funktioniert und daher nicht umfassend auf die Erkenntnisse der jeweils anderen Einheit zurückgegriffen wird, trifft dies vielleicht gar nicht so schlecht.

Gerrit Beckhaus: Dabei beschränkt sich Rechtsberatung ja auch in unserer Anwaltstätigkeit keineswegs auf das Lösen von rein juristischen Problemstellungen, sondern geht viel weiter, insbesondere auch in den Bereich der kommerziellen und strategischen Beratung.

 

Die juristische Beratung differenziert dabei immer weiter aus?

Gerrit Beckhaus: Die Grenzen dessen, was unter rechtliche Beratungsleistung fällt, sind meines Erachtens fließend und verändern sich gerade im Bereich des Großkanzleigeschäfts. Die Frage ist in der Praxis ja nicht, wo ein rechtliches Problem anfängt oder aufhört, sondern wie man zu einer wirtschaftlich relevanten Problemstellung oder einem Risiko eine möglichst optimale Lösung für den Mandanten findet. Dabei spielen rechtliche Komponenten selbstverständlich eine wesentliche Rolle, unsere Beratung beschränkt sich aber nicht darauf. Vor diesem Hintergrund ist gerade auch die Komponente „Technik“ bei der Lösungsfindung eine, die es zu integrieren gilt. Oftmals werden rechtliche Lösungen erst durch technische Umsetzung skalierbar ein prominentes Beispiel hierfür ist der Umgang mit Massenklagen. Die logistische und technische Umsetzung muss natürlich bei der rechtlichen Konzeption entsprechender Schriftsätze mitbedacht werden. Genau die Verzahnung der verschiedenen Disziplinen und Beteiligten im Sinne einer ganzheitlichen Lösung schafft den größten Mehrwert. Im Erkennen und Herstellen der wertschaffenden Verknüpfung und der anschließenden Umsetzung sehen wir einen Kern unserer Funktion im Freshfields Lab. Die Bedeutung dieser Funktion wird aus unserer Sicht künftig weiter zunehmen und sich etablieren. Angesichts der bislang weitgehend unausgeschöpften Möglichkeiten, insbesondere im Bereich der KI oder Data Analytics, ist hier ein Ende nicht in Sicht.

 

Die hohen Datenschutzstandards in Europa und Deutschland werden oft als Hindernisse formuliert, was die rasche Umsetzung von Ideen und IT-Lösungen angeht. Ist gerade der Datenschutz nicht auch ein Standortvorteil und wie gehen das Team in Ihrem Lab damit um? Können datenschutzrechtlich vorbildliche IT-Lösungen nicht auch ein Qualitätsmerkmal sein?

Lukas Treichl: Selbstverständlich werden alle Lösung im Freshfields Lab in Sachen Datenschutzrecht und Datensicherheit laufend evaluiert und erfüllen sämtliche Bestimmungen. Der weltweit sehr hohe Datenschutzstandard innerhalb Europas zeigt sich für die Softwareentwicklung in wesentlichen Grundsätzen wie „privacy by design“ and „privacy by default“ und ist daher bereits bei der Konzeption der technischen Komponente einer Lösung sehr früh zu berücksichtigten.

 

Welche Rolle kommt dem Datenschutz dabei zu?

Der in Europa durch die Datenschutzgrundverordnung erneut konkretisierte Standard kann durchaus als Standortvorteil gesehen werden, weil Lösungen im Freshfields Lab zumeist einen globalen Anwendungsbereich haben und durch Einhaltung sämtlicher Datenschutzstandards in Europa diese regelmäßig auch problemlos auf andere Länder außerhalb Europas ausgerollt werden können. Gleichzeitig sehen wir mittlerweile global neue Regime, die es zu berücksichtigen gilt. Mit Eröffnung unseres neuen Büros in Kalifornien ist der unlängst in Kraft getretenen California Consumer Privacy Act deutlich „näher gerückt“. Sämtliche Lösungen werden daher von unseren Datensicherheits- und Datenschutzexperten laufend auf Einhaltung dieser sich zunehmend weltweit verdichtenden Regelungsstandards geprüft. Dies kann dann schon einmal zu lokal unterschiedlichen Versionen führen, oder Einschränkungen im Austausch der Daten zwischen unterschiedlichen Ländern bedeuten.